Fahrbericht Polaris Slingshot SL: Dreirad-Spielzeug für Männer und Straße (2024)

Motorisierte Dreiräder für die Straße gibt es schon lange. Vielleicht, weil es für die meisten als Kind das erste Fahrzeug war. Wie das Motorrad entwickelte sich auch das Dreirad immer mehr vom Transport- zum Sportgerät. Piaggio beispielsweise brachte über Jahrzehnte mit der Ape die Mozzarella selbst in die engste Gasse des entlegensten Bergdorfs und den Müll von dort wieder weg. Seit 2006 drehten die Italiener das Dreirad um: Vorne zwei Räder und Neigetechnik machen den Piaggio MP3 als schmalspurigen People-Mover für überfüllte Metropolen sicherer als herkömmliche Roller. Weniger nützlich aber richtig sportlich ist beispielsweise der Can-Am Spyder aus Kanada: Ohne Neigetechnik aber mit viel Power ist er allein schon von der Sitzposition her was für Biker ohne Motorradführerschein (den braucht man übrigens auch für entsprechend ausgerüstete MP3-Roller nicht).

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Seit einem Jahr gibt es nun von der US-amerikanischen Firma Polaris mit dem Slingshot, die Variante, die Spaß-Sucher eher wie ein Auto fahren können – und in der sie vor allem auch so sitzen können: nebeneinander. In den USA gilt der Slingshot (englisch für Steinschleuder oder Katapult) dennoch als Motorrad und hat binnen eines Jahres bereits 9000 Kunden gefunden. Ab sofort sind die Dreiräder auch hierzulande zu haben, ab November könnten die ersten Exemplare direkt aus Medina, Minnesota zu den Kunden kommen, die dafür mindestens 29.990 Euro zu bezahlen bereit sein müssten. Ähnliches bietet allenfalls der deutlich engere und retro-gestylte Morgan Threewheeler für rund 10.000 Euro mehr.

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Thomas Geiger

Polaris Slingshot SL mit Optik wie KTM X-Bow

Was erwartet Käufer eines Polaris Slingshot SL? Zunächst mal ein Gefährt mit aufmerksamkeitsstarker Optik in knalligem Havaso Red Pearl (we call it „Rot“). Von vorn sieht das fast zwei Meter breite, aber nur 1,32 Meter hohe Gerät dem KTM X-Bow recht ähnlich. Von hinten gleicht es der Eiger Nordwand – in Plastik und fröhlichem Schwarz. Damit es nicht am Boden schleift, wenn es den Asphalt unter seine mächtigen Vorderräder (225/45 R 18) nimmt, haben ihm seine Erbauer schnell noch eine Einarmschwinge mit noch mächtigerem Hinterrad (255/35 R 20) spendiert, das von einem Zahnriemen mit der Breite der Krawatten von Ex-VW-Chef Winterkorn angetrieben wird. Den Riemen wiederum treibt eine Kardanwelle an, die am Ausgang eines 5-Gang-Getriebes hängt und das seinerseits von einem 2,4-Liter-Vierzylinder (vorn) mit 173PS angetrieben wird.

Polaris-Slingshot-Interieur: wasserfeste Plastikwüste

Das alles hängt an einem Stahlrohrrahmen. So wie die Fahrgastzelle zwischen Motor und Hinterradschwinge. Sie ist eigentlich nicht viel mehr als eine Plastikwanne mit 2 Sitzen, 2 Becherhaltern dazwischen, 2 Staufächern dahinter sowie einem co*ckpit (links) und einem geräumigen Handschuhfach davor. Auch hier dominiert Plastik, leider in der eher billigen harten Variante, auch an haptisch und optisch sensiblen Bereichen wie Schalthebel und Lenkrad. Hat aber den Vorteil, dass alles wasserfest ist und das Interieur auch mit dem Gartenschlauch gereinigt werden kann. Und das Wasser? Läuft im Falle eines Falles über Löcher im Boden wieder ab. Gut so, denn außer einer flachen Windschutzscheibe schützt nichts Interieur und Insassen vor der Witterung. Wetterfeste Kleidung und nach Empfehlung des Herstellers ein Helm sind also angesagt, obwohl ihn das Gesetz nicht verlangt. Aber es verbietet ihn auch nicht. Könnte von Vorteil sein, wenn das Auge des Gesetzes auf Fotos nur einen Helm sieht – ein Nummernschild vorne ist ebenfalls nicht vorgeschrieben. So weit der Motorradteil des Slingshot.

Einsteigen, Sitzposition, Dreipunktgurt, drei Pedale, Schalthebel, Lenkrad hingegen vermitteln zusammen mit der Perspektive über die konturreiche Motorhaube den Eindruck vom Auto. Airbags und Türen fehlen allerdings. Anfänger fallen gerne in den Sitz, wenn sie beide Beine über die Seitenwand in den Fußraum gefädelt haben, weil auch dort glattes Plastik lauert und gerade bei Feuchtigkeit die Schuhe wegrutschen lässt. Hinterm Lenkrad angekommen kann der Fahrer eben jenes mitsamt der Instrumente, Sitz und Lehne verstellen, so dass die Ergonomie passt.

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Thomas Geiger

Opel-GT-Motor im Polaris Slingshot SL

Zündung an mit einem herkömmlichen Schlüssel und dann auf den rot leuchtenden Startknopf drücken – das führt nicht immer zum Anspringen des Motors, selbst wenn der Fahrer wie verlangt Kupplung und Bremse gedrückt hält. Aber mit ein paar Mal Drücken kriegt man das GM-Aggregat immer zum Laufen. Es meldet sich vergleichsweise laut (wenig Dämmung, kurzer Auspuff) und klingt angenehm sonor.

Normalerweise baut Polaris ja Schneemobile, robuste Offroad-Buggies, auch für den Militäreinsatz oder Kleinsttransporter, wie sie selbst in Italien vielerorts die Ape von Piaggio verdrängt haben. Außerdem bauen die Amerikaner echte Motorräder der Marke Victory oder unter dem traditionsreichen Label Indian. Für den Slingshot hatten sie trotzdem keinen Motor im Regal, der ihnen passend erschien. Darum der brave Alu-16V-4-Zylinder, der manchem aus dem Opel GT oder diversen biederen Chevrolet-Modellen bekannt sein könnte.

Zunächst mal schiebt er die mit rund 900 Kilogramm (770 Kilogramm Trockengewicht) gar nicht mal so leichte Fuhre problemlos an, Schaltung und Kupplung (auch von GM) sind knackig bzw. leichtgängig und auch mit wetterfesten Schuhen problemlos zu bedienen. Die Drehzahlmessernadel steigt, das Geräusch wächst, die Leistungsentfaltung bleibt: Das maximale Drehmoment von 224Nm liegt erst bei 4700 U/min an. Bis dahin dreht das Aggregat problem- aber auch irgendwie teilnahmslos hoch und scheint seine Aufgabe eher in der Beschallung der Passagiere zu sehen. Ab knapp 5.000/min kommt es kurz in Schwung, aber bei 6.400/min liegt bereits die Maximalleistung von 173PS an und das Weiterdrehen auf maximal mögliche 7.000/min unterlässt man angesichts der wenig attraktiven Akustik gerne. Ob damit der Sprint aus dem Stand in den angegebenen 5,9 Sekunden gelingt, käme auf einen gezeiteten Versuch an, den wir angesichts der Nässe während der Probefahrt unterlassen haben.

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Thomas Geiger

Polaris Slingshot SL ist ein Kurvenfresser

Der mächtige Riemenantrieb fügt dem Gerassel des Verbrenners noch ein wenig Straßenbahn-Gewimmer hinzu, Kardan und Motor lassen die Plastikkarosse dröhnen. Das klingt weniger vergnüglich als es ist, denn der Helm dämpft die Geräuschkulisse, Fahrtwind, Frischluft und der in unmittelbarer Nachbarschaft vorbeihuschende Asphalt lassen einen die Geschwindigkeit sehr plastisch erleben.

Nach den ersten Kurven wächst das Vertrauen in die exotische Konstruktion. Der Vorderwagen mit doppelten Dreiecksquerlenkern zieht das Dreirad selbst auf feuchtem oder patschnassem Alpen-Asphalt durch Biegungen bis Serpentinen als wäre der Slingshot ein Slotcar auf der Carrera-Bahn. Untersteuern? Das Wort scheint im Slingshot-Wortschatz zu fehlen. Die recht direkte und nicht zu leichtgängige Lenkung unterstützt das Kurven-Carven nach Kräften.

Schwierigkeiten bereiten dem Fahrer eher die beträchtliche Breite des Vorderwagens und das Zielen: Das sich nach hinten verjüngende Layout erlaubt frühes Einlenken, limitierender Faktor ist das rechte Vorderrad, von dem man immerhin den Kotflügel sieht. Aber speziell bei Regen verhindert die gewölbte Scheibe den klaren Durchblick: Gegen Tropfen gibt es weder an ihr noch am Helmvisier einen Scheibenwischer. Praktisch hingegen: Schon bei moderatem Tempo kommt kaum Regen am Fahrersitz an.

Zum Glück Traktionskontrolle

Dass hinten nur ein Rad für den Antrieb sorgt, mindert zwar die Traktion beim Anfahren schon auf nasser Fahrbahn gewaltig, stört beim dynamischen Kurvenfahren aber kaum. Vorsicht ist allerdings bei nassen Fahrbahnmarkierungen geboten: Gerät das Slingshot-Hinterrad auf eine, wofür einem angesichts der Hinterradposition das Gefühl fehlt, sinkt eben der Reibwert für die gesamte Antriebsachse drastisch. Antriebsschlupfregelung und Stabilitätskontrolle greifen nicht sofort ein, so dass die weißen Flecken durchaus für eine Schrecksekunde gut sind. Krasser ist der Effekt beim Runterschalten: Ist die Drehzahl zu hoch für den niedrigeren Gang, reißt die Haftung des dicken Hinterrads und der Slingshot schlägt mit dem Heck wie die Schwanzflosse eines Hais, der sich in seine Beute verbissen hat. Gas wegnehmen via Traktionskontrolle bringt natürlich nix, weil man gar kein Gas mehr gibt; bei heftigen Schwimmwinkeln würde allerdings das ESP eingreifen. Besser also: Entweder erst ordentlich abbremsen und dann einkuppeln oder mit der Ferse auf die Bremse, um mit der Spitze Zwischengas zu geben. Dann hat man nach dem Kurvenscheitel wieder ordentlich Drehzahl zum Herausbeschleunigen und die ganze Übung macht richtig Spaß – so wie eine schnelle Wanderung im Slingshot über Alpenpässe.

Fazit

Wie soll man den Slingshot finden? Auf der Habenseite stehen für die Preisklasse beeindruckende Fahrleistungen und ein äußerst unterhaltsames, sehr unmittelbares Fahrerlebnis, für das der Autoführerschein ausreicht. Weitere Pluspunkte sind die problemlose Handhabung, die mutmaßlich robuste und unterhaltsgünstige Großserientechnik, ausreichend Platz für 2 und gute Ergonomie.

Weniger begeistern kann das farblose GM-Aggregat, dem jegliches Faszinationspotenzial abgeht und das sich bei engagierter Berg- und Talfahrt zwischen 10 und 11 Liter Super auf 100 Kilometer schmecken lässt. Klar sein muss man sich außerdem darüber, dass der Slingshot auf der Straße und in der Garage vergleichsweise viel Platz wegnimmt ohne deswegen mit Wetterschutz oder besonderen Sicherheitsfeatures wie Airbags dienen zu können. Insgesamt ist der Nutzwert recht überschaubar, auch wenn die Alltagstauglichkeit größer ist als beim Motorrad. Schönheitsfehler bleibt die arg profane Gestaltung des Innenraums und des Hecks.

Aber wenn Polaris die Social-Media-Aktivitäten zum Slingshot beispielsweise noch um Routenvorschläge zum Teilen und Nachfahren für die Community erweitert, könnte das aufmerksamkeitsstarke Dreirad durchaus Fans finden. Viele erwarten die Amerikaner in Deutschland erstmal nicht: Für 2016 ist der Absatz von 200 Stück geplant.

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Gerd Stegmaier

Chefredakteur der Digitalredaktion des Geschäftsbereichs Mobilität

Beschäftigt sich mit Autos, seit er denken kann. Infolgedessen mit der Antriebs- sowie der Energiewende und in seiner Funktion auch mit Motorrädern, Wohnmobilen und Flugzeugen.

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